Sag mir, wo du stehst

“P24″ heißt sie. “Wir wollen dem Nachwuchs freien und unabhängigen Journalismus beibringen”, sagt Yavuz Baydar, einer der Gründe

P24

03.03.2014

 CHRISTIANE SCHLÖTZER

Wer sich in der Türkei eine Meinung bilden will, muss viele Zeitungen lesen. Es gibt bei den Medien nur noch zwei Lager: für oder gegen Erdoğan. Um seine Gegner kümmert sich der Premier persönlich auf den Knien, um Vergebung bittend. Nicht in Istanbul, wo dies auch angemessen gewesen wäre – nach den Exzessen der Polizei bei den Gezi-Protesten. Sondern in Kiew. Die türkische Zeitung Hürriyet druckte das Foto aus der Ukraine jüngst dreispaltig auf der Titelseite. Auch so kann man Ereignisse im eigenen Land kommentieren. Dem Blatt Sabah , das Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan besonders nahe steht, war das Bild aus Kiew dagegen offenbar zu eindrucksvoll. Es verzichtete ganz darauf.

Wohl nie in der jüngeren türkischen Geschichte waren die Medien so sehr parteiisch.Viele Kommentatoren agieren wie Fans, die stets nur ihre Fußballmannschaft unterstützen. Dabei gibt es derzeit, grob gesprochen, nur noch zwei Lager: für oder gegen Erdoğan. Die Medien sind so polarisiert wie die türkische Gesellschaft.

Angefangen hat dies schon vor den Protesten im vergangenen Sommer, als es erst nur um ein geplantes Bauprojekt im Gezi-Park ging. Als die Polizei die Demonstranten niederknüppelte, wühlte dies das ganze Land auf. Seit Gezi ist der Ton schärfer. Dass sich Erdoğan und seine engsten Vertrauten persönlich in die Programmgestaltung großer TV-Sender einmischen, wussten Kundige auch schon früher. Nun aber kann man auf Youtube Erdoğans Telefonate mit einem Topmanager des Senders Habertürk anhören; die Echtheit wird bislang nicht bestritten. Erdoğan verlangt dabei beispielsweise die Entfernung einer Nachricht, er wird ziemlich ungehalten: „Du sagst, ‚ich habe verstanden‘, aber warum zum Donnerwetter sind die Sachen immer noch da?“ Der Mann am anderen Ende der Leitung kuscht.

Es gibt in der Türkei inzwischen so viele Journalisten, die nach Anrufen aus Ankara von ihren Arbeitgebern vor die Tür gesetzt wurden, dass die Entlassenen eine eigene Vereinigung gegründet haben. „P24“ heißt sie. „Wir wollen dem Nachwuchs freien und unabhängigen Journalismus beibringen“, sagt Yavuz Baydar, einer der Gründer. Er war Autor und Ombudsmann, ein Kummerkasten für die Leser, bei Sabah , als das Blatt sich noch kritische Stimmen leistete. Seinem Verleger gefiel nicht, dass Baydar die Interessenskonflikte der türkischen Medienkonglomerate kritisierte. Deren Eigentümer sind auch in der Bau-, Bank- und Energiebranche tätig und verdienen viel Geld mit Staatsaufträgen. „Seriöser Journalismus“ sei in dem Umfeld nicht möglich, schloss Baydar und verwies auf ein „paar kleine, mutige“ Alternativmedien, die sich um Unabhängigkeit mühten.

Man findet diese Stimmen am ehesten im Internet. Geschasste Journalisten betreiben Webzeitungen. Satire und Ironie, die in der Türkei immer gepflegt wurden, toben sich hier aus. Dass der Regierung dieser Freiraum nicht passt, kann man an dem neuen Internetgesetz ablesen.

  Während der Gezi-Proteste blühten auch Mini-TV-Stationen im Netz auf. Sie zeigten, was die anderen ausblendeten. Habertürk TV, der Sender, um den sich Erdoğan persönlich bemühte, sendete an dem Abend, als der Gezi-Park brannte, eine Expertenrunde zum Thema Schizophrenie. Die Medienwissenschaftlerin Ceren Sözeri meint, „Zensur und Selbstzensur“ seien während der Proteste so offensichtlich geworden, dass sich mehr Menschen nun der Manipulationen bewusst seinen. Sözeri hat für die renommierte türkische Denkfabrik Tesev auch die Berichterstattung zur Verfassungsreform untersucht: Die meisten Blätter gaben nur eine Seite der Debatte wieder. Wer in der Türkeiinformiert sein will, der müsse vieles lesen, rät Sözeri.

Die sozialen Medien bieten ein Ventil. Aber auch über Twitter und Facebook werden inzwischen dieselben Grabenkämpfe ausgefochten wie in den traditionellen Medien. Die Erdoğan-Partei AKP ruft ihre Anhänger zu Twitter-Kampagnen gegen den politischen Gegner auf. Die Art, wie die AKP ihre Macht nutzt, erinnert bereits an die Einparteienherrschaft in den Vierzigerjahren, als die von Republikgründer Kemal Atatürk geschaffene CHP die einzige politische Kraft war. In dieser Zeit war die Partei der Staat und der Staat die Partei. Bei der Parlamentswahl 2011 hat die seit 2002 regierende AKP mit 50 Prozent der Stimmen ihr bislang bestes Ergebnis erhalten. Die TV-Journalistin Çiğdem Anad hat der Webseite Medyaradar erzählt, wie es ihr 2011 während der Wahlen ergangen ist. Sie wurde gewarnt, „dass die Regierung es nicht mag, wie du Fragen stellst“, daher dürfe sie nicht mehr vor die Kamera.

Am 30. März wird in der Türkei wieder gewählt. Es sind Kommunalwahlen, aber die finden landesweit statt und gelten als Test für Erdoğan und seine Regierung. Die scheint inzwischen trotz ihrer klaren medialen Übermacht nervös zu sein. Wieso sollte die staatliche Rundfunkaufsicht sonst an der Polit-Talkshow des Kleinsenders Bugün TV Anstoß nehmen? Bügün TV wurde am vergangenen Donnerstag auferlegt, statt der wöchentlichen Diskussionsrunde eine vom Staatssender TRT erstellte Dokumentation über „Die Vögel der Türkei“ zu zeigen. Das Vergehen des Senders: Studiogäste hätten sich zuvor „einseitig“ über die aktuelle Korruptionsaffäre ausgelassen, in die AKP-Politiker und Ministersöhne verwickelt sein sollen und die das Land so entzweit wie die Proteste.

Internationale Journalistenorganisationen weisenauf die hohe Zahl von Berichterstattern in türkischen Gefängnissen hin. Reporter ohne Grenzen zählte Ende 2013 etwa 60 Fälle, das türkische Justizministerium offiziell 54. Die meisten Häftlinge waren für prokurdische Medien tätig. Ein archaisches Antiterrorgesetz legt den Begriff der verbotenen politischen Propaganda sehr weit aus. Aber um Journalisten einzuschüchtern, braucht es keine Gesetze mehr. Es genügt, wie Çiğdem Anad über den Besitzer einesSenders, für den sie gearbeitet hat, schreibt: Der Mann habe es vorgezogen, „Hand in Hand“ mit der Regierung zu gehen. „Er hat seine Identität geändert, nur um sein Kapital nicht zu verlieren, wie viele andere in der Branche.“

Der Premier mischt sich nicht nur in TV-Programme ein, er redet – wie die vielen über Youtube publizierten Telefonate verraten – offenbar auch mit, wenn Medien den Besitzer wechseln: so im Dezember 2013 die in die Pleite gerutschte Sabah . Der Zuschlag ging an einen mit Erdoğan befreundeten Unternehmer, der auch am dritten Istanbuler Flughafen mitbauen darf. Ein anderer Industrieller, der sich weigerte, bei einem Mediendeal mitzumachen, erregte Erdoğans Zorn. In einem der abgehörten Telefonate bekennt der Mann: „Ich wurde nie zuvor in meinem Leben so beschimpft. Ich habe vor lauter Stress wieder angefangen zu rauchen.“





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